Das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn und die Rabbinerin-Regina-Jonas-Schule sind staatlich anerkannte Schulen in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Berlin. Etwa 70% unserer Schülerinnen und Schüler sind jüdisch, etwa 30% gehören anderen, zumeist christlichen Glaubensgemeinschaften an oder wachsen ohne Konfession auf.
Vor diesem Hintergrund ist es unser Anliegen, allen Schülerinnen und Schülern entsprechend ihrer Lebenssituationen einen Zugang zur jüdischen Religion zu ermöglichen. Daher steht neben dem allgemeinbildenden Fächerkanon entsprechend der Rahmenlehrpläne des Landes Berlin vor allem auch der judaistische Fachbereich im Zentrum unseres Lehrplans.
Die Schule hat ihre Grundlage in Thora und Tradition. Diese Grundlage besteht aus Inhalten und Geistesgütern, die von allen Juden in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart als wichtig und zentral verstanden werden. Es handelt sich um das geistige Erbe des Judentums, das in der Kenntnis der Bibel und ihrer Sprache, in der Liturgie, in der jüdischen Geschichte, Philosophie und Literatur sowie in dem Wissen um die Bedeutung des Landes Israel für das jüdische Volk besteht.
Daraus erklärt sich, dass unabhängig von ihren ethnischen, religiösen oder weltanschaulichen Herkünften und Einstellungen die Teilnahme am Unterricht in den judaistischen Fächern, Hebräisch und Jüdische Religionslehre, für alle Schülerinnen und Schüler bindend ist. Im Kurssystem der gymnasialen Oberstufe können diese Fächer als Grund- oder Leistungskurse und auch als Abiturfächer belegt werden. Dabei geht es vor allem darum, die jüdische Identität unserer jüdischen Schüler innerhalb unserer pluralistischen Schulgemeinschaft zu stärken, wobei die Achtung der Lebensweisen aller im Judentum bestehenden Strömungen zu respektieren ist. In unserer Sekundarschule ist Hebräisch neben Russisch eine der möglichen 2. Fremdsprachen.
Es besteht Einigkeit darüber, dass männliche Teilnehmer im Religionsunterricht und bei rituellen Veranstaltungen die Kippa tragen und dass an der Schule beim gemeinsamen Mittagessen die jüdischen Speisegesetze eingehalten werden.
Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte besuchen gemeinsam einmal im Laufe eines Schuljahres den Gottesdienst am Schabbat und verbringen anschließend den Schabbatabend zusammen. Wichtige jüdische Feste und Feiertage werden gemeinsam begangen und am Samstag finden wegen der Schabbatruhe keine schulischen Aktivitäten statt.
Aber natürlich ist es ebenso wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler sich mit der deutschen Kultur und anderen Kulturen und Religionen, vor allem auch ihrer nicht jüdischen Mitschüler, beschäftigen und sich gegenseitig Respekt zollen. Aus diesem Grunde treffen alle unsere Klassen in Projekten und Workshops zum interkulturellen oder interreligiösen Dialog auf andere konfessionelle oder auch staatliche Schulen z.T. mit hohem muslimischen Anteil, z.B. alljährlich beim Quiz der Religionen im Rahmen der interkulturellen Woche. Unsere Schüler nehmen an Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen zum Thema „Jüdisches Leben in Deutschland“ teil; mit Schülern anderer Schulen treffen sie sich zu gemeinsamen Theater- und Filmprojekten, Museums- und Gedenkstättenbesuchen, Zeitzeugengesprächen, aber auch zu sportlichen Begegnungen mit Schulen Berlins, aus anderen Bundesländern oder dem Ausland, in der Hoffnung, dass wir durch das gegenseitige Kennenlernen unseren Beitrag zum Abbau von Vorurteilen leisten können.
Für die jüdische Gemeinschaft ist die Einhaltung von Mizwot (Gebote) eine wesentliche religiöse Verpflichtung wie auch Tikkun Olam, die Welt zu verbessern im Sinne von Übernahme religiöser, sozialer und politischer Verantwortung. In den Jüdischen Oberschulen gibt es zahlreiche Beispiele, wie Schülerinnen und Schüler schon in jungem Alter Verantwortung übernehmen und sich ehrenamtlich engagieren können. So übernehmen ältere Schülerinnen und Schüler Partnerschaften für neue Schüler, helfen ihnen sich in der Schule zurecht zu finden, engagieren sich als Bibliothekshelfer, erteilen Nachhilfeunterricht oder helfen bei den Hausaufgaben. Andere wiederum unterstützen das jüdische Seniorenheim oder sind in Projekten wie „Schüler helfen Leben“ oder „Schule gegen Rassismus“ tätig. Weiterhin können sich Schüler zu Streitschlichtern und Schulsanitätern ausbilden lassen.
Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern zu verdeutlichen, dass ein jeder sich einbringen und seinen Teil in unserer Gesellschaft leisten muss für ein Leben in Freiheit, Frieden und Menschenwürde. Die Schüler sollen sich ihrer Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit bewusst sein, ihre Haltung muss bestimmt sein von der Anerkennung der Gleichberechtigung aller Menschen; sie sollen lernen, sich gegen Unrecht aufzulehnen, Zivilcourage zu zeigen und befähigt werden, Gewalt, Diskriminierung, Ausländerfeindlichkeit und der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Tendenzen, wie Antisemitismus und Rassismus, entschieden entgegenzutreten.
In diesem Sinne sind auch unsere Klassen- und Studienfahrten sowie Unterrichtsgänge zumeist mit politischen Themen oder dem jüdischen Profil unserer Schule verknüpft, denn die Auseinandersetzung mit der Geschichte des jüdischen Volkes, vor allem die Zeit der Schoa, nimmt in unserem Schulkalender einen wichtigen Platz ein.
Viele unserer Schülerinnen und Schüler stammen aus Familien, die persönlich von den Verbrechen des Nationalsozialismus betroffen sind. Dementsprechend ist der 9. November, der Beginn der Pogrome in 1938, ein Datum, an dem an unserer Schule der Opfer des Holocausts gedacht wird. Seit 2010 haben wir für die gesamte Schule einen Projekttag eingerichtet, an dem die Schüler sich altersadäquat mit Biographien von Opfern, Tätern und Rettern beschäftigen, Vorträge hören, Ausstellungen besuchen, Filme sehen und Zeitzeugen kennenlernen. Unsere 10. Klassen nehmen außerdem alljährlich an einer Gedenkstättenfahrt nach Polen teil, wo sie die Konzentrationslager besuchen. Die Schule sieht sich in einer Brückenfunktion zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und will mit der Kultur des Gedenkens und Erinnerns dem Vergessen und Verdrängen entgegenwirken.
Zur weltanschaulichen Basis und Ausrichtung der Schule gehört auch die uneingeschränkte Anerkennung des Staates Israel und die enge Verbundenheit zu diesem für uns Juden so bedeutsamen Land. Dies kommt zum Besipiel am Jom Ha´azma´ut, dem israelischen Unabhängigkeitstag, zum Ausdruck, den wir mit einer Zeremonie begehen, zumeist im Beisein eines Vertreters der israelischen Botschaft oder einer anderen israelischen Institution. Desweiteren nehmen jedes Jahr unsere 8. Klassen an einer Israelreise teil, die nicht nur mit einem Hebräischkurs verbunden ist, sondern auch mit dem Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem wie auch mit der Begegnung unserer israelischen Partnerschule, der Leo Baeck Schule in Haifa.
Insgesamt beschulen wir Schülerinnen und Schüler aus 20 Nationen. Um zu verdeutlichen, dass das Zusammenleben von Schülern unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft eine Bereicherung der eigenen Lebenswelt darstellt, veranstalten wir alljährlich einen bunten „Kultursplitter“, der mit Theaterszenen, Texten, Gedichten, Tanz und Gesang ein Forum bietet für alle an der Schule vertretenen Kulturen und Sprachen, natürlich auch für Hebräisch und Jiddisch.
So verstehen sich die Jüdischen Oberschulen zum einen als ein Zeichen für gelebtes Judentum in der Berliner Bildungslandschaft, zugleich aber sind wir ein Lernort für gemeinsames Leben in der Spannweite von Toleranz, Akzeptanz und Integration.
Auch wenn das äußere Erscheinungsbild unseres Schulgeländes, gesichert durch einen hohen Zaun und Polizeipräsenz, bedauerlicherweise in der Öffentlichkeit den Eindruck des Abschottens erweckt, entspricht dies keineswegs unserer Intention, vielmehr würden wir lieber noch offener sein, zumal dies auch dem Standort unserer Schule in der Großen Hamburger Straße, die schon zur Jahrhundertwende als „Toleranzstraße“ bezeichnet wurde, viel mehr entspräche. Auf dieser nur 300 m langen Straße lebten immer schon Menschen verschiedener Kulturen und Religionen friedlich miteinander. In dieser Tradition leben wir und erziehen wir unsere Schüleinnen und Schüler.